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Bewusstsein

Was ist Bewusstsein?

Wenn Sie Ihrer Voreingenommenheit, Ihres Bedingtseins gewahr werden, wird sich Ihnen Ihr ganzer Bewusstseinsraum erschliessen. Bewusstsein ist der Gesamtbereich, in dem sich das Denken abspielt und unsere Beziehungen ihren Bestand haben. Alle Motive, Absichten, Wünsche, Vergnügungen, Ängste, Eingebungen, Sehnsüchte, Hoffnungen, Kümmernisse, Freuden sind in diesem Raum vorhanden.

Was wir nicht verstehen, verschleiern wir

Aber wir haben dieses Bewusstsein in das tätige und das schlafende eingeteilt, in die oberen und unteren Ebenen, das heisst: Alle Gedanken, Gefühle und Tätigkeiten des Tages liegen im Bereich der Oberfläche, und darunter befindet sich das sogenannte Unterbewusstsein, die Dinge, mit denen wir nicht vertraut sind, die sich gelegentlich durch gewisse Zeichen, Eingebungen und Träume ausdrücken.

Wir befassen uns im allgemeinen nur mit einem kleinen Winkel des Bewusstseins, der den grössten Teil unseres Lebens ausmacht.

Wie wir in die übrigen Schichten eindringen können, die wir das Unterbewusstsein nennen, mit all seinen Motiven, Ängsten, seinen rassischen und ererbten Eigenschaften – davon haben wir keine Ahnung.

Unterbewusst oder unbewusst?

Nun frage ich Sie: Gibt es überhaupt so etwas wie das Unterbewusste? Wir gebrauchen dieses Wort ziemlich bedenkenlos. Wir haben uns damit abgefunden, dass es so etwas gibt, und die Schlagworte und Fachausdrücke der Analytiker und der Psychologen sind in die Sprache eingesickert. Aber gibt es so etwas? Und wie kommt es, dass wir ihm eine so grosse Bedeutung beimessen? Mir scheint, dass das Unterbewusstsein ebenso trivial und stumpfsinnig ist wie der bewusste Geist – ebenso eng, blindgläubig, voreingenommen, ängstlich und minderwertig.

Totales Bewusstsein

Ist es nun möglich, den gesamten Bewusstseinsbereich umfassend wahrzunehmen und nicht nur einen Teil, ein Fragment?

Wenn Sie fähig sind, das Ganze wahrzunehmen, dann leben Sie zu jeder Zeit mit voller Aufmerksamkeit und sind nicht nur halb dabei.

Es ist wichtig, das zu verstehen, denn wenn Sie des gesamten Bewusstseinsbereichs gewahr sind, gibt es keine Spannungen. Nur wenn Sie das Bewusstsein, zu dem alles Denken, Fühlen und Handeln gehört, in verschiedene Ebenen aufteilen, gibtes Misshelligkeiten.

Fragmentierte Existenz

Wir leben in Fragmenten. Im Büro sind Sie ein anderer Mensch als zu Hause. Sie sprechen über Demokratie und sind in Ihrem Herzen autokratisch. Sie sprechen über die Liebe zu Ihrem Mitmenschen und vernichten ihn im Konkurrenzkampf. Ein Teil von Ihnen wirkt und schaut um sich, unabhängig von dem anderen Teil.

Sind Sie sich dieses bruchstückhaften Daseins bewusst? Und ist es für den Verstand, der seine Funktionen, sein Denken zerstückelt hat, möglich, den gesamten Bewusstseinsbereich wahrzunehmen? Ist es möglich, das ganze Bewusstsein umfassend zu sehen, das heisst ein voller Mensch zu sein?

Zeit ist nicht die Antwort

Wenn Sie bei dem Versuch, die Gesamtstruktur des Ich, des Selbst mit all seinen ausserordentlichen Verwicklungen zu verstehen, Schritt für Schritt vorangehen, Schicht um Schicht blosslegen, jeden Gedanken, jedes Gefühl und jedes Motiv prüfen, werden Sie in einen analytischen Prozess eingefangen, der Sie Wochen, Monate oder Jahre kosten wird; und indem Sie diesen Prozess des Selbsterkennens der Zeit zuordnen, müssen Sie jede nur mögliche Veränderung in Betracht ziehen, weil das Selbst ein komplexes Gebilde ist, in ständiger Bewegung, lebendig, kämpfend, voller Wünsche, verneinend, mit Verdrängungen und Spannungen und Einflüssen jeder Art, die unablässig auf den Menschen einwirken.

Heureka!

So werden Sie selbst entdecken, dass das nicht der Weg ist. Sie werden begreifen, dass es nur den einzigen Weg gibt: auf sich umfassend, unmittelbar, ohne Einschaltung der Zeit zu schauen. Sie können sich als Ganzes nur sehen, wenn Ihr Geist nicht zerspalten ist. Was Sie so sehen, ist die Wahrheit.

Haben Sie den Mut?

Nun, können Sie das tun? Die meisten von uns können es nicht, weil wir uns auf das Problem niemals so ernsthaft eingestellt haben, weil wir uns niemals wirklich angeschaut haben. Niemals. Wir machen andere verantwortlich, wir erklären die Dinge hinweg, oder wir fürchten uns hinzusehen. Aber wenn Sie rückhaltlos hinschauen, wird es mit voller Aufmerksamkeit geschehen, mit Ihrem ganzen Sein, mit allem, was an Ihnen ist, mit Ihren Augen, Ihren Ohren, Ihren Nerven. Sie werden mit vollkommener Selbsthingabe beteiligt sein, und dann ist kein Raum mehr für Furcht vorhanden, kein Raum für Widerspruch, dann ist kein Konflikt mehr möglich.

Achtsamkeit ≠ Konzentration

Achtsamkeit ist nicht das gleiche wie Konzentration. Konzentration ist Ausschliessung.

Achtsamkeit = die umfassendes Gewahrsein

Achtsamkeit, die umfassendes Gewahrsein ist, schliesst nichts aus. Mich dünkt, dass die meisten von uns nicht bewusst sind, nicht nur in bezug auf das, worüber wir sprechen, sondern auch hinsichtlich der Umwelt, der Farben um uns, der Menschen, der Form der Bäume, der Wolken, des dahinströmenden Flusses.

Alles dreht sich um „mich“

Vielleicht kommt es daher, dass wir so sehr mit uns beschäftigt sind, mit unseren nichtssagenden kleinen Problemen, unseren Gedanken, unseren Vergnügungen, Plänen und ehrgeizigen Bestrebungen, so dass wir nicht unbefangen sehen können. Und doch sprechen wir sehr viel über Bewusstheit.

Traurig aber wahr

In Indien reiste ich einmal in einem Auto. Ein Chauffeur steuerte den Wagen, und ich sass neben ihm. Drei Herren diskutierten sehr eifrig über Bewusstheit und stellten mir darüber Fragen. In diesem Augenblick sah der Fahrer unglücklicherweise woanders hin und überfuhr eine Ziege, und die drei Herren diskutierten immer noch über Bewusstheit. Sie hatten überhaupt nicht wahrgenommen, dass sie über eine Ziege gefahren waren. Als die Herren, die so eifrig versuchten, bewusst zu sein, auf diesen Mangel an Achtsamkeit hingewiesen wurden, waren sie sehr überrascht.

Zeit zum Aufwachen

Und mit den meisten von uns ist es das gleiche. Wir nehmen weder die äusseren noch die inneren Dinge wahr. Wenn Sie die Schönheit eines Vogels, einer Fliege, eines Blattes sehen wollen oder einen Menschen mit all seinen Schwierigkeiten zu verstehen suchen, müssen Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit, die ein unmittelbares Gewahrsein ist, dafür hingeben. Und Sie können das nur tun, wenn Ihnen daran etwas liegt, wenn es Ihnen zutiefst um das Verstehen zu tun ist – dann geben Sie Herz und Geist daran.

Wohnen mit einer Schlange

Solch eine unmittelbare Gegenwärtigkeit haben Sie, wenn sich in Ihrem Zimmer eine Schlange befindet. Sie überwachen jede ihrer Bewegungen, Sie reagieren überaus empfindlich auf das leiseste Geräusch, das sie macht. Ein solcher Zustand der Aufmerksamkeit ist geballte Energie. In diesem Gewahrsein reagiert Ihr ganzes Wesen augenblicklich.

Es ist „der Hunger von gestern“

Wenn Sie sich so gründlich gesehen haben, dann können Sie tiefer eindringen. Wenn wir das Wort »tiefer«, gebrauchen, vergleichen wir nicht. Im allgemeinen denken wir in Vergleichen: tief und flach, glücklich und unglücklich. Wir beurteilen und vergleichen ständig. Gibt es aber in uns einen solchen Zustand wie das Oberflächliche und das Tiefe?

Wenn ich sage: »Mein Geist ist oberflächlich, unbedeutend, eng, begrenzt«, woher weiss ich das? Weil ich meinen Geist mit dem eines anderen verglichen habe, der aufgeweckter und leistungsfähiger, der intelligenter und wacher ist.

Kann ich meine Armseligkeit ohne Vergleich erkennen?

Wenn ich hungrig bin, vergleiche ich diesen Hunger nicht mit dem von gestern; der gestrige Hunger ist eine Vorstellung, eine Erinnerung.

Wenn ich mich jederzeit mit einem anderen vergleiche, darum kämpfe, ihm gleich zu sein, dann verneine ich das, was ich tatsächlich bin, und erzeuge ein Trugbild.

Die Suche ist vorbei

Wenn ich verstanden habe, dass Vergleiche jeder Art nur zu grösserer Täuschung und zu grösserem Elend führen – wie es zum Beispiel in der Analyse geschieht, in der ich das Wissen über mich Stück für Stück vermehre, oder wenn ich mich mit etwas anderem identifiziere, ganz gleich, ob es der Staat ist, ein Erlöser oder eine Ideologie – , wenn ich einsehe, dass alle derartigen Prozesse nur zu verstärkter Anpassung und damit zu grösserem Konflikt führen, wenn ich das alles sehe, dann sage ich mich davon gänzlich Ios. Dann sucht mein Geist nicht länger.

Es ist äusserst wichtig, das zu verstehen.

Dann hat mein Geist aufgehört herumzutasten, zu suchen und zu fragen. Das bedeutet nicht, dass er mit den Dingen, so wie sie sind, zufrieden ist; nur hat er keine Illusion. Solch ein Geist kann sich dann in einer völlig anderen Dimension bewegen.

Das tägliche Leben ist Dukkha

Die Dimension, in der wir im allgemeinen leben, das Alltagsleben mit seinen Schmerzen, Vergnügungen und Ängsten, hat den Geist geformt, hat ihn eingeengt, und wenn diese Schmerzen, Vergnügungen und Ängste verschwunden sind – was aber nicht bedeutet, dass Sie keine Freude mehr haben: Freude ist etwas ganz anderes als Vergnügen – , dann lebt der Mensch in einer anderen Dimension, in der es keinen Konflikt mehr gibt, kein Gefühl des Andersseins.

Hören Sie auf, Selbstgespräche zu führen

Mit Worten können wir nur bis hierher gehen: Was dahinter liegt, kann nicht mit Worten ausgedrückt werden, weil das Wort nicht die Sache ist. Bis hierher können wir beschreiben, erklären, aber keine Worte oder Erklärungen können die Tür öffnen. Was die Tür öffnen wird, ist Bewusstheit und Achtsamkeit – bewusst zu sein, wie wir sprechen, was wir sagen, wie wir gehen, was wir denken.

Der Edle Achtfache Pfad

Es ist so, als ob wir einen Raum säubern und ihn in Ordnung halten. Einen Raum sauber zu halten, ist in gewisser Hinsicht wichtig, aber in anderer Hinsicht völlig belanglos. Es muss Ordnung im Raum herrschen, aber Ordnung wird nicht die Tür oder das Fenster öffnen.

Nicht Ihr Wunsch oder Ihr Wille können die Tür öffnen. Sie können unmöglich das Andere einladen. Alles, was Sie tun können, ist, den Raum sauber zu halten, das heisst, einfach tugendhaft zu sein, ohne zu fragen, was es einbringen wird; gesund, vernünftig, ordentlich zu sein.

Passives Gewahrsein…

Dann vielleicht, wenn Sie Glück haben, wird sich das Fenster öffnen, und der sanfte Wind wird hereinströmen. Oder es mag auch nicht geschehen! Es hängt von dem Zustand Ihres Geistes ab.

Und diesen Zustand können Sie nur selbst erkennen, indem Sie ihn belauschen und niemals versuchen, ihn zu formen, niemals Partei ergreifen, sich niemals widersetzen, niemals zustimmen, niemals rechtfertigen, niemals verdammen, niemals urteilen; das bedeutet, ihn ohne wertende Unterscheidung zu betrachten.

Und in diesem wertungsfreien Gewahrsein mag sich vielleicht die Tür öffnen, und Sie werden um diese Dimension wissen, in der es keinen Konflikt und keine Zeit gibt.

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